KOMMUNISTISCHE STANDARDWERKE AUS CHINA

AUTOR: Josef Theobald

Vielen Leuten in Deutschland ist fast unbekannt, dass auch der Verlag für
fremdsprachige Literatur in Beijing (Peking) Werke des Marxismus-Leninis-
mus in deutscher Sprache herausgab. Dies war bis zu dem Jahre 1980 ein
Nebenzweig des Verlages gewesen. Schon im Jahre 1965 sind von Marx
und Engels das „Manifest der kommunistischen Partei“ und von J. W. Stalin
"Über die Grundlagen des Leninismus" erschienen. Die meisten Titel wurden
ab 1972 herausgegeben. Der letzte broschierte Titel von Lenin „Marx-Engels-
Marxismus“ sollte 1980 diese Ausgabenfolge beenden.
 
Vermutlich konnte oder wollte man nicht mehr die zu entrichtenden Lizenz-
gebühren aufbringen. Anscheinend wurden diese bisher durch ein Kompen-
sationsgeschäft [1] mit dem chinesischen Volksverlag finanziert.
 
Im Jahr 1964 ist in China das Forschungsinstitut für ausländische Literatur
gegründet worden, dass auch die Bereiche sowjetische und osteuropäische
Literatur umfasste. [2]
 
Bei der Herausgabe deutschsprachiger Titel gab es eine Zusammenarbeit mit
dem Dietz Verlag in Berlin-Ost in der früheren DDR.
 
Die vom Verlag für fremdsprachige Literatur herausgegebenen Titel wurden
zunächst durch die Auslandsbuchhandlung „Guoji Shudian“ in Beijing (China)
ins Ausland verbracht. Mitte der Achtziger Jahre übernahm der Verlag „Neuer
Weg“ in Stuttgart (heute: Essen) den Vertrieb. Heute bedient man sich der ei-
gens dafür gegründeten Buchhandlung „People to People“ in Gelsenkirchen.  
Wie ich im letzten Jahr nachweisen konnte, wurden die Ausgewählten Werke
von Mao Zedong (Bände I bis IV) von einem Übersetzerteam an einer  Päda-
gogischen Hochschule in der früheren DDR fertiggestellt. [3] Wegen des da-
maligen Vorwurfs des Revisionismus in  China blieben die Stellenverweise
ohne konkrete Angabe. Vielfach waren hier noch Werksausgaben aus den
Fünfziger Jahren angesprochen. Der Band V, der 1978 in Deutsch erschien,
kann dagegen in der Volksrepublik China selbst übersetzt worden sein, da
die Germanistik in den Siebziger Jahren hier doch bedeutende Fortschritte
machte.
 
Denn erst in den Achtziger Jahren gab es die Neuübersetzungen der Werke
von Marx, Engels, Lenin und Stalin. Also das, was in der früheren DDR An-
fang der Sechziger Jahre begonnen wurde und in den Achtziger Jahren den
Abschluss fand. Wegen der Entstalinisierung ab 1956 blieben allerdings die
Werke Stalins davon ausgenommen. Der Band 13 erschien hier in dem Jahr
1955.
   
Im Februar 1953 wurde in der Volksrepublik China ein Herausgeber- und Ü-
bersetzungsbüro für die Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin vom Zen-
tralkomitee (ZK) der KP Chinas eingesetzt. Zu den von diesem Büro in den
Jahren bis 1988 auf Chinesisch veröffentlichten Werke gehörten 49 Bände
zu den Gesammelten Werken von Marx und Engels. 4 Bände umfassten die
Ausgewählten Werke. Weiterhin wurden 39 Bände der Gesammelten Werke
von Lenin herausgegeben. Die Ausgewählten Werke umfassten 4 Bände. Die
Werke von Stalin wurden in 13 Bänden veröffentlicht.
 
Für die Zeit ab 1990 war eine zweite Auflage der Gesammelten Werke von
Marx und Engels und der Gesammelten Werke von Lenin und Stalin geplant.
[4]
 
Im Dietz Verlag waren es bei den Marx-Engels-Werken 39 Bände und bei den
Werken Lenins ebenfalls 39 Bände. Bei den Ausgewählten Werken gab es je-
doch Unterschiede. Bei Marx und Engels gab es sowohl eine zweibändige als
auch eine sechsbändige Ausgabe. Bei Lenin gab es eine dreibändige und eine
sechsbändige Ausgabe.
 
Für die Zeit ab 2010 war in der Volksrepublik China eine Gesamtausgabe der
Werke von Marx und Engels nach dem Muster der MEGA in Europa geplant.
Dazu wurden auch Mitarbeiter des deutschen Übersetzerteams aus der frü-
heren DDR eingeladen und ebenfalls eingebunden.
 
In der früheren Sowjetunion wurden die ersten Werke Lenins in Deutsch von
den sowjetischen Massenorganisationen herausgegeben, bis man dazu über-
ging, das sowjetische Verlagswesen zu zentralisieren. So gründete man 1939
den Verlag für fremdsprachige Literatur, der sich ab 1963 in Progress Verlag
umbenannte. Hier erschienen in den Siebziger und Achtziger Jahren einbän-
dige Ausgewählte Werke von Marx, Engels und Lenin.
 
ANMERKUNGEN
[1] Mit dem Begriff Kompensationsgeschäft (englisch: offset oder auch: offset
     agreement) werden in der Wirtschaft Handelsabschlüsse bezeichnet, bei
     denen eine Ware oder Dienstleistung nicht ausschließlich mit Geld bezahlt
     werden muss, sondern im Zuge eines Gegengeschäfts ganz oder teilweise
     mit einer anderen Ware oder Dienstleistung beglichen wird.
[2] China-Buchreihe LITERATUR UND KUNST, Verlag für fremdsprachige
     Literatur, Beijing (China) 1985, die Seite 109.
[3] An der Schrift „Über die Diktatur der Volksdemokratie“ (letzter Titel: "Über
     die demokratische Diktatur des Volkes"), die seit 1950 bis 1969 einer stän-
     digen Überarbeitung unterzogen wurde, konnte durch eine Quellenangabe
     im Text nachgewiesen werden, dass es hier ein Übersetzerteam aus der
     früheren DDR gab. Denn der Verweis auf den Band 31 der Werke Lenins
     war hier zu offensichtlich. Es gab hier eine frappierende Übereinstimmung
     mit der 1959 neu übersetzten Ausgabe, die in der Ausgabe von 1961 ein-
     fach übernommen wurde. Auch beim „Manifest der kommunistischen Par-
     tei“ stimmt die Anmerkung (24) mit der Anmerkung (92) des Bandes „22“
     der Marx-Engels-Werke überein.   
[4] Die Geschichte des chinesischen Buches, Verlag für fremdsprachige Li-
     teratur, Beijing (China) 1988, die Seite 143.