KEINE „INTERNATIONALE“ MEHR ZUM SENDESCHLUSS

AUTOR: Josef Theobald

VORWORT

Im Juni 1978 stellt plötzlich RADIO PEKING das Abspielen
der "Internationale" ein. Seit Bestehen des Pekinger Aus-
landsdienstes 1950 hatten sämtliche Sendungen mit der
"Internationale" geschlossen. Jetzt wird zum Abschluss der
Programme eine kurze, aber typisch chinesische Musik ge-
sendet. (Quelle: "Kurzwellenjahr im Zeitraffer" in "kurzwelle
aktuell" von Hermann Jäger)

HERMANN JÄGER beobachtete die Sendungen aus China
seit 1939. Der englischsprachige Dienst von RADIO PEKING
war im Jahre 1952 ohne Rufzeichen auf der Frequenz 15.060
kHz zu empfangen. Während des Koreakrieges gab es auch
zweisprachige Berichte in Englisch und Französisch über die
Lage des Krieges in Korea. (Quelle: "In alten Logbüchern ge-
blättert" in "kurzwelle aktuell")

Erste deutschsprachige Sendungen gibt es erst seit dem 15.
April 1960. In Westdeutschland war die Situation für den Kreis
der Kommunisten schwierig geworden. Denn in der Hochphase
des Kalten Krieges wurde die KPD am 17. 08. 1956 verboten.
Hinzu gesellten sich auch verschiedene Einbrüche, wie im
Jahre 1956 die Auseinandersetzungen um das Erbe Stalins
(Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der
KPdSU im Februar in Moskau) und die Ereignisse in Prag
im August 1968 (gewaltsame Niederschlagung des Prager
Frühlings). Dies bedeutete in der Praxis eine Spaltung der
kommunistischen Bewegung in eine prosowjetische und in
eine prochinesische / proalbanische Richtung. In Rotchina
z. B. hatte man im Gegensatz zum Sowjetblock trotz einiger
Vorbehalte das Erbe Stalins weiterhin hochgehalten und die
Vorgänge in der damaligen CSSR sehr scharf verurteilt. Im
Vergleich zur prosowjetischen Richtung, die sich am 25. 09.
1968 in Frankfurt (Main) erfolgreich zur DKP vereinigen kon-
nte, blieb die prochinesische Richtung eher ein versprengter
Haufen. In den Achtzigern bildete der studentische Zweig die
späteren unterschiedlichen K-Gruppen innerhalb der sich in
in Westdeutschland etablierenden grün-alternativen Bewe-
gung. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in der
Bundesrepublik hatten diese Mitte der Siebziger Jahre rund
15.000 Mitglieder.

BEITRAG

Die Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren geprägt
einerseits durch die wirtschaftliche Prosperität und anderer-
seits durch eine wachsende militärische Bedrohung. Denn
beginnend mit der Kuba-Krise (damit verbunden die Span-
nungen an der Berliner Mauer), schließlich endend mit den
verheerenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Süd-
ostasien (Stichwort: Vietnam-Krieg) und ebenfalls begleitend
von den damals schwelenden Konflikten an der chinesisch-
sowjetischen Grenze.

Besonders Rotchina litt damals unter der Rivalität beider
Supermächte USA und Sowjetunion. Mao Zedong wies
in einer Erklärung vom 20. Mai 1970 hin: „Die Gefahr ei-
nes neuen Weltkrieges bleibt immer noch bestehen, und
die Völker aller Länder müssen Vorbereitungen treffen.
Aber die Haupttendenz in der heutigen Welt ist Revolu-
tion.“ (Der X. Parteitag der KP Chinas -Dokumente-, die
Seite 33) Dabei bezog er sich auf Lenin, der feststellte:
„Ist der gegebene Krieg ein reaktionärer, imperialistischer
Krieg, d. h. ein Krieg, der von zwei Weltgruppen der im-
perialistischen, gewalttätigen, räuberischen, reaktionären
Bourgeoisie geführt wird, so wird jede Bourgeoisie (sogar
die eines kleinen Landes) zur Teilnehmerin am Raube,
und es ist meine Aufgabe, die Aufgabe eines Vertreters
des revolutionären Proletariats, die proletarische Welt-
revolution als einzige Rettung vor den Schrecken des
Weltgemetzels vorzubereiten.“ (W. I. Lenin, „Gegen den
Revisionismus“, Dietz Verlag, Berlin-Ost 1959, Seite 422)  

Die Folgen des „kalten Krieges“ findet man auch in China.
Denn diese Angst vor einem Atomangriff auf der Seite der
Sowjetunion gebar in den Sechziger Jahren die Idee einer
„unterirdischen Stadt“ in Peking, die heute eine „Attraktion“
darstellt. Im unterirdischen Tunnellabyrinth empfangen z. B.
Restaurants und Hotels ihre Gäste. Manche Zugänge ver-
bergen sich unter Gleitböden in nahen Geschäften. (Viva
Guide, CHINA, RV-Verlag, Stuttgart 1995, Seite 67)
    
NACHTRAG

Im Juli 1978 erschien in der BEIJING RUNDSCHAU eine
dreiteilige Serie, verteilt auf zwei Ausgaben, mit dem Titel
"Ein Grundprinzip des Marxismus", die eine Erklärung für
den obigen Schritt bietet. Dieses Thema entsprang noch
dem kürzlich durchlebten Trauma der Kulturrevolution. So
gab es lediglich unter Berücksichtigung der propagierten
Erkenntnistheorie die Lösung, das Richtige vom Falschen
zu unterscheiden. Damit war man gefordert, jetzt an den
neuen historischen Bedingungen teilzuhaben, das in der
Praxis eine Weiterentwicklung der bisherigen Ideologie
bewirkte. (BR Nr. 28 + 29 vom 18./25. Juli 1978)

Auf Mao Zedong geht der Satz zurück: „Wir müssen auf
das Richtige bauen und dürfen nicht an das glauben, was
falsch ist, komme es aus alter oder aus der neueren Zeit.“
(Ausgewählte Werke, Band V, Beijing 1978, Seite 164)  

In Bezug auf den Export der chinesischen Revolution wurde
man später noch deutlicher. "Der Erfolg der Revolution in ei-
nem Land hängt davon ab, ob die konkreten Bedingungen
des betreffenden Landes reif sind und ob die Linie und die
Politik der kommunistischen Partei dieses Landes von den
eigenen Volksmassen unterstützt werden. Es versteht sich
von selbst, dass die Parteien der verschiedenen Länder sich
gegenseitig helfen sollen, aber jeder Zwang, jedes Diktat von
außen ist absolut unzulässig. Wer die eigenen Ansichten den
anderen aufzwingt und sich in die inneren Angelegenheiten der
Partei eines anderen Landes einmischt, kann der revolutionären
Sache des betreffenden Landes nur Rückschläge und Niederla-
gen zufügen." (CHINA UND DIE WELT, Band 3, Beijing 1983, S
eite 17)  Das war eine klare Absage. Damit waren jetzt jegliche
Hoffnungen in Richtung einer Neubelebung prochinesischer
Parteien begraben. Schon frühere Besuche entsprechender
Delegationen in Beijing sorgten für eine Ernüchterung, als
mögliche finanzielle Zuwendungen für den Parteiaufbau zur
Sprache kamen. Man sah eben hier für den westdeutschen
Raum kein Entwicklungspotenzial. So blieb nur der einzige
Weg, sich den Bündnisgrünen anzuschließen, bei denen es
in ökologischen Fragen durchaus Parallelen gab.  
      
Auch sorgten einige Veröffentlichungen in der Volksrepublik
China, z. B. über die chinesische Philosophie, für ein wohl
differenziertes Bild. Denn Mao verband in seinen Schriften
die traditionelle chinesische Sichtweise mit dem in Russland
entwickelten dialektischen und historischen Materialismus.
Typisch ist hier das dualistische Denken, wie es von Lao Zi
(Laotse) in China begründet wurde. Auch ist für den Asiaten
charakteristisch die in jedem Denkmodell fehlende Absolutheit.
Denn man sieht vorwiegend bei ihm das Relative in der Vielheit,
das auch seinen Verstand bestimmt.