DIE NARREN SIND LOS

AUTOR: Josef Theobald

Die Narren sind in vielen Märchen und Sagen erscheinende Gestalten,
die mit den Hofspaßmachern (englisch: „jokers“) in alten Herrscherhöfen
in Verbindung stehen. Diese hatten „Narrenfreiheit“ und durften straflos
die Wahrheit sagen, wenn sie in die Maske von Scherz, Satire und Scha-
bernack gekleidet vorgetragen wurde. Hofnarren trugen groteske Kleider
mit bunten Farben wie der junge Parsifal, ein Narrenzepter und auf dem
Kopf eine mit Schellen besetzte Narrenkappe, was in den Karnevalsko-
stümen der Neuzeit nachgeahmt wird. Der Schalksnarr der Volksbücher
(Eulenspiegel, Ulenspiegel) ist seit dem 16. Jahrhundert populär, und
seine Possen (die Eulenspiegeleien) sind zum Teil sprichwörtlich ge-
worden.

Im Mittelalter wurden Geisteskranke als „Narren“ bezeichnet und mussten
eine kennzeichnende Tracht tragen, den Narrenkittel und die Narrenkappe,
mit Glöckchen versehen. Damit genossen auch sie Narrenfreiheit und kon-
nten für angerichteten Schaden nicht verantwortlich gemacht werden, wie
die Redensart „Der Narr muss sein Abzeichen haben“ überliefert. Die Rede-
wendung „jemanden am Narrenseil führen“ (zum Besten halten) geht auf die
Gepflogenheit zurück, zu Tobsuchtsanfällen neigende Geisteskranke auf die-
se Weise zu fesseln. Die barbarische Ideenverbindung „Spaßmacher – Gei-
steskranker“ konnte erst sehr spät überwunden werden und wirkt bis in die
Gegenwart fort.

Der Ausdruck „Possenreisser“ für Spaßmacher erklärt sich aus der Ableitung
von „bosse“ oder „posse“ (Schnörkel, Beiwerk an Kunstdenkmälern, groteske
Begleitfigur) und „reißen“ (zeichnen). Davon ist auch „possierlich“ (im 16. Jahr-
hundert für „drollig, spassig“) abgeleitet. [1]

Die große Zeit der Hofnarren kommt in den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts,
deren unentbehrliche „Requisiten“ sie werden. So lebte Gabriel Magenbuech als
ehrbarer Handwerksmann mit seiner Frau außerhalb des Schlosses und wurde
nur gelegentlich engagiert, wobei man nach unseren Begriffen teilweise unbe-
schreiblich rohe Späße mit ihm trieb. Aus der Chronik der Zimmerschen Gra-
fen ist uns auch ein Wolf Scherer überliefert, den man Peter Letzkopf nannte.
Dieser geriet unter Mordverdacht und scheint in Rom tatsächlich einen Bettler
umgebracht zu haben; vielleicht geistesgestört endete er wohl als „Landfahrer“.
So hatte der Narr in der frühen Neuzeit viele Gesichter. Er konnte entweder
ein intelligenter Spaßmacher sein, an der Grenze zum Wahnsinn wandeln
oder sich durch eine körperliche Missbildung ergötzen („delektieren“), wie
der Zwerg Perkeo am kurpfälzischen Hof zu Heidelberg. [2]      

Der Karnevalsprinz, auch Fastnachts- oder Faschingsprinz, meist nur „Prinz“
genannt, ist in vielen Regionen das Oberhaupt der Narren in Karneval, Fast-
nacht oder Fasching. Die Analogie zum Adelstitel „Prinz“ ist dabei beabsich-
tigt und äußert sich in den Handlungen bzw. in dem Erscheinungsbild.

Eine historische Äquivalenz findet sich ebenfalls in der Römerzeit. Während
der „Saturnalia“ (in der Spätzeit vom 17. –  23. Dezember) wurde durch ein
Los ein König (Saturnalicus princeps) für die Festzeit bestimmt. [3]  Dieser
war für das Schmausen und Zechen verantwortlich, dem die Gäste eben-
falls Gehorsam schuldeten. [4]  

ANMERKUNGEN
[1] Prof. Dr. Hans Biedermann, LEXIKON DER SYMBOLE, Droemersche
     Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München, als Nachdruck im PALAST
     Verlag, Euskirchen 2008, Seiten 302/3.  
[2] Bernd Roeck, Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten (Fremde in
     Deutschland der frühen Neuzeit), Kleine Vandenhoeck-Reihe, Göt-
     tingen 1993, Seiten 79 + 80.
[3] Friedrich Lübker, Reallexikon des klassischen Altertums, Nachdruck
     bei Manuscriptum, Leipzig 2005, Seite 917.
[4] Otto Hiltbrunner, Kleines Lexikon der Antike, Francke Verlag, 6. neu-
     bearbeitete und erweiterte Auflage, Tübingen und Basel 1995, Seite
     518.