DER WIDERSTREIT ZWISCHEN TRADITION UND IDEOLOGIE

AUTOR: Josef Theobald

Im September 1956 besuchte der Generalsekretär der Partei der Arbeit
Albaniens (PdAA) Enver Hoxha (1908-1985) anlässlich des VIII. Partei-
tages der KP Chinas die Volksrepublik China. Ihm viel direkt auf die Art,
wie die Chinesen mit ihren Kadern sprachen und sich ihnen gegenüber
benahmen. Klar erkennbar waren noch die Relikte der Vergangenheit,
als in China für viele Jahrhunderte die Absolutheit der chinesischen Kai-
ser, das feudale System, der Buddhismus und der Konfuzianismus vor-
herrschte. Dies hatte das chinesische Volk nicht nur in einer furchtbaren
wirtschaftlichen Rückständigkeit belassen, sondern auch in seiner Welt-
anschauung, in seinem Benehmen und in seiner Sprechweise einen er-
kennbar sklavischen, unterwürfigen Zug, blindes Vertrauen und widers-
pruchslosen Gehorsam gegenüber Autoritäten jeden Ranges verwurzeln
lassen. [1] Während der Großen Proletarischen Kulturrevolution (1966-
1976) war man zwar bemüht, diese Tendenzen zu bekämpfen, doch ist
in den letzten Jahrzehnten der Trend erkennbar, den alten traditionellen
Gegebenheiten neuen Raum zu schenken.

Hoxha studierte 1930 bis 1934 in Frankreich (Montpellier, Paris) und von
1934 bis 1936 in Brüssel (Belgien) Jura. In Brüssel wurde er Sekretär im
albanischen Konsulat. In Paris war er Mitarbeiter der dort erscheinenden
kommunistischen Tageszeitung „L’Humanité“. [2]  So war Hoxha von den
Verhältnissen in Frankreich stark beeinflusst worden. Im Jahre 1789 brach
hier die Französische Revolution aus, die in Scharen die Adligen, Bischöfe
und Äbte und all jene kleinen Fürsten vertrieb. Französische revolutionäre
Armeen exportierten die Ideen von Freiheit und Gleichheit bis in das Inner-
ste von Deutschland, in das Rheinland. Eine Weiterführung dieser bürger-
lichen Revolution war die in Paris am 28. März 1871 ausgerufene „Pariser
Kommune“. Bedeutende Kommunisten, wie W. I. Lenin in Russland, sahen
sich in dieser Traditionslinie.

Was heute vielfach vergessen ist, bleibt die Tatsache, dass Saarlouis, an der
Ostgrenze zu Deutschland gelegen, ebenso eine Hochburg der Französischen
Revolution war. Angesichts der einsetzenden Expansion Preußens, geschützt
durch ein preußisch-britisches Bündnis, und des französischen Engagements
in Nordamerika kam es 1760 in Frankreich zur unvermeidlichen Katastrophe in
Bezug auf seine überseeischen Ambitionen. Sein Expeditionskorps im Norden
Amerikas musste vor den Briten kapitulieren, in Indien unterlagen seine Truppen
demselben Feind. Von dem einst weltweiten Kolonialbesitz, den abenteuerlustige
Franzosen seit eineinhalb Jahrhunderten erobert hatten, blieben nur noch Trüm-
mer übrig. Die Staatsfinanzen des Königreiches waren von neuem ruiniert. [3]
Da die militärische Festung in Saarlouis auch ein Wirtschaftsfaktor war, beka-
men umgehend die umliegenden Bauernhöfe, Gewerbebetriebe und Händler
die Folgen dieser Krise zu spüren. Dazu kam noch der sich rasch entwickelnde
Nationalismus. Dies bedeutete, dass es auf einmal zum guten Ton gehörte, sich
zunehmend als Deutsche zu fühlen. Begleitet war die Französische Revolution
von der Aufklärung. Erklärtes Ziel war hierbei, gegen Autoritätsglauben, Vorur-
teile und Bevormundung des Menschen anzugehen. Die Vernunft sollte jeden
Menschen zu selbstbewusstem Denken und selbstbestimmtem Handeln leiten.

Wenn man dies berücksichtigt, wird man die Distanz zu jeder Form von Unter-
würfigkeit verstehen müssen. Im Oktober 2009 wurde in der südbadischen Me-
tropole Freiburg (Breisgau) der Hörerclub von Radio China International (CRI)
gegründet. Hier sah man allerdings noch deutlich die Restspuren einer feudalen
Gesellschaft, die Unterwürfigkeit durch die Verbeugung gegenüber Vorgesetzten
und Funktionären der staatlichen Organe.     

ANMERKUNGEN
[1] Enver Hoxha, Die Chruschtschowianer (Erinnerungen), Verlag „8
     Nentori“, Tirana 1980, Seite 278.   
[2] Die Tageszeitung „L’Humanité“ wurde ursprünglich im Jahre 1904
     von J. Jaurès als Organ der Französischen Sozialistischen Partei
     gegründet. Bald nach der Spaltung der Sozialistischen Partei auf
     dem Parteitag in Tours (Dezember 1920) und der Bildung der KP
     Frankreichs wurde die Zeitung deren Organ.
[3] Die große Weltgeschichte, Zeitalter des Absolutismus, Nachdruck
     bei Weltbild, die Seiten 362/63.