DER LINKSTERRORISMUS IN DEN SIEBZIGERN

Nach dem Abschluss der Ostverträge hatte man in Westdeutschland
gedacht, jetzt würden friedliche Zeiten einkehren. In dieser Zeit gab
es auch diverse Friedensappelle, die den eingenommenen Stand-
punkt angeblich bestätigten. Man hatte aber dabei übersehen, dass
das Wort „Frieden“ in der kommunistischen Terminologie „einen sol-
chen Zustand in einer Konfliktsituation (bedeutet), wo zu allen Mitteln,
außer dem des offenen Krieges, gegriffen wird“. (S. Possony, A Cen-
tury of Conflict, Chicago 1953, Seite 413) Seit der Zeit, wo J. Andropow
als KGB-Chef in die Lubjanka übergesiedelt war, bestand sein Haupt-
ziel darin, diese Mittel anzuwenden. Im Grunde genommen führte er
einen unerklärten Krieg mit anderen (terroristischen) Mitteln. (nach
Garri Tabatschnik, Stalins Erben (Der Abstieg der Sowjetmacht),
Ullstein Verlag, Berlin 1992, Seite 220)

AUTOR: Josef Theobald

VORWORT

Anlässlich der Ermordung des italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro
(1916-1978) durch die Roten Brigaden äußerte sich damals die chinesische
Regierung offiziell dahingehend, dass sie individuelle terroristische Akte wie
Entführung und Mord weder befürworte noch unterstütze. In der Tradition der
Weltrevolution stehend vertrete man hingegen die Meinung, dass der revolu-
tionäre Kampf ein Kampf der Massen sei, und schließlich der Sieg nur dann
errungen werden könne, wenn die Massen mobilisiert würden und man sich
auf sie stützen könne. Die Marxisten bekämpften seit jeher den individuellen
Terrorismus und seien ebenfalls der Auffassung, dass er dem revolutionären
Kampf der der Massen schade. [1]     

BEITRAG

Bekanntlich liegen die Ursprünge der sich nennenden RAF (Rote Armee
Fraktion) in der Studentenbewegung der Sechziger Jahre. Doch bildete
man hier eine Randgruppe, die sich zum einzigen Ziel setzte, mit Hilfe
des bewaffneten Kampfes in dem damaligen Westteil Deutschlands eine
revolutionäre Massenbewegung ins Leben zu rufen. Doch fehlte in diesen
Jahren der Rückhalt in der Bevölkerung.

Im Vokabular der RAF finden sich auch Auszüge aus den Worten des
Vorsitzenden Mao, die aber oft aus dem Zusammenhang gerissen wa-
ren. Denn diese sind nur im historischen Kontext zu verstehen. Der da-
damalige politische Gegner der KP Chinas war die Guomindang unter
ihrem bekannten Führer Tschiang Kai-schek. In seinen diktatorischen
Bestrebungen und in seiner antikommunistischen Haltung galt ihm der
deutsche Nationalsozialist Adolf Hitler als Vorbild. [2] Gegen Ende der
Zwanziger Jahre sind 310.000 Revolutionäre, darunter 26.000 aus den
Reihen der KP Chinas, seinen Repressionen zum Opfer gefallen. In der
Zeit der Kulturrevolution reduzierte man die unterschiedlichen Arten von
Widersprüchen auf den Gegensatz zwischen „uns“ (den Anhängern der
Kulturrevolution) und dem Feind (der Personenkreis um Liu Shaoqi, die
Anhänger des chinesischen Chruschtschow). [3]   

Die maoistische Bewegung in Westdeutschland wird meist mit der Stu-
dentenbewegung in der Zeit der APO (Außerparlamentarischen Oppo-
sition) in den Sechzigern in Verbindung gebracht. Doch ist diese Sicht
leider zu einseitig. In Wirklichkeit liegen aber diese Wurzeln in einer vom
Stalinismus geprägten Protestbewegung gegen die Absicht einer moskau-
treuen Gruppierung, nach dem KPD-Verbot vom August 1956 auf dem Ge-
biet der alten Bundesrepublik eine neue KP nach dem Vorbild der SED in
der früheren DDR aufzubauen (die DKP). Allerdings bekannt wurden diese
mit Rotchina sympathisierenden und mit der DKP rivalisierenden Parteien
hauptsächlich erst durch die Studenten.

Einen breiten Konsens gab es aber bei der Ablehnung von Gewalt mittels
Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele. Hierfür gab es mehrere Gründe:

Zum ersten lehnte W. I. Lenin selbst den individuellen Terror in Form von
Attentaten in seiner Schrift „Der 'linke Radikalismus', die Kinderkrankheit
im Kommunismus“ aus Gründen der Zweckmäßigkeit ab (in Ausgewählte
Werke in einem Band, Verlag Progress, Moskau 1986, Seite 575). In der
Schrift „Was tun?“ verglich Lenin den Terrorismus mit der Spontaneität
der leidenschaftlichsten Empörung der Intellektuellen, die es nicht ver-
standen oder nicht die Möglichkeit hatten, die revolutionäre Arbeit mit
der Arbeiterbewegung zu einem Ganzen zu verbinden (Ausgewählte
Werke in drei Bänden, Band I, Dietz Verlag, Berlin-Ost 1970, Seite
208).  

Zum zweiten hatte man in der Parteigeschichte Chinas eigene Erfahrungen
mit dem Terror. So wurden unter dem Einfluss der Linie des linksradikalen
Abenteurertums von Li Lisan infolge der japanischen Übermacht Bomben-
anschläge gegen die Anführer des Gegners verübt, seine Herrschaftsgebiete
in Flammen gesetzt und die projapanischen Elemente und Nationalverräter
ins Jenseits befördert. Somit wurde diese Theorie des bewaffneten Kampfes
als eine Abart des Terrorismus bezeichnet (Kim Il Sungs Erinnerungen „Mit
dem Jahrhundert 2“, Pyongyang 1992, Seite 354). Einen weiteren Hinweis
finden wir in den Werken von Kim Il Sung. So wird im Band 1 auf der Seite
18 von linksradikalen Losungen gesprochen, die die Massen dazu aufhetzten,
sämtliche Gutsbesitzer und Kapitalisten niederzuschlagen, ohne die Rücksicht
darauf, ob sie projapanisch oder antijapanisch waren. In einigen Gebieten sind
sogar Getreideschober wahllos in Brand gesteckt worden, nur weil ihre Eigen-
tümer als Gutsbesitzer oder Großbauen bezeichnet wurden, und es wurde der
linksorientierte Fehler begangen. auch Schwankende, die man durchaus gewin-
nen konnte, als Helfershelfer abzustempeln, zu liquidieren usw. Im Mai 1930 be-
rief die Propagandaabteilung der Kommunistischen Internationale (Komintern) in
Chabarowsk eine Konferenz ein, bei der beschlossen wurde, dass alle die in der
Mandschurei lebenden koreanischen Kommunisten in die KP Chinas übertreten
und als deren Mitglieder wirken sollten (Seite 67). So gab es schon damals eine
enge Zusammenarbeit zwischen beiden Volksgruppen, die spätere Ereignisse
erklären sollten.

Als drittes stellte Mao Zedong fest, dass es im Krieg auch eine Gesamtsituation
gäbe, die sich schließlich aus einzelnen Teilen zusammensetze. So wären bei
den strategischen Problemen auch die Beziehungen zwischen Front und Hinter-
land zu berücksichtigen (Ausgewählte militärische Schriften, Beijing 1969, Seite
16). [4] Meines Wissens gab es zwar bei der RAF eine „Rote Hilfe“. Angesichts
der wachsenden Fahndungserfolge der westdeutschen Sicherheitsbehörden
und der kritischen Öffentlichkeit konnte aber der bewaffnete Terror in der bis-
herigen Form nicht mehr weiter aufrechterhalten werden. So gab es bei der 2.
Generation einen teilweisen Exodus in die ehemalige DDR.

Logistische Unterstützung gab es vom KGB, dem Geheimdienst der früheren
Sowjetunion, der die RAF in den Widerstand der Palästinenser (in die Fatah)
einverleibte. In diesem Rahmen wurden auch die Flugzeugentführungen ko-
ordiniert, die in den heißen Herbst des Jahres 1977 gipfelten. Weiterhin wa-
ren hier die DDR, CSSR und Bulgarien eingebunden gewesen. So entstand
ein breites Netzwerk, dessen faktische Ausgestaltung erst in späteren Jahren
bekannt wurde.
 
Schon in den Sechziger Jahren wurde nach der Abkehr der Sowjetunion von
der Weltrevolution in China vermutet, die sowjetische Außenpolitik würde sich
von nun an dem „linken Ultraradikalismus“ anschließen, nachdem sie jetzt in
eine Zwickmühle geraten sei. Einerseits empfahl man den kommunistischen
Parteien im Westen den friedlichen Übergang zum Sozialismus auf dem parla-
mentarischen Weg. Andererseits distanzierte man sich vom Trotzkismus, der
die permanente Revolution anstrebte. (DIE PROLETARISCHE REVOLUTION
UND DER REVISIONISMUS CHRUSCHTSCHOWS -Achter Kommentar zum
offenen Brief der KPdSU-, Verlag für fremdsprachige Literatur, Beijing -China-   
1964, die Seiten 35 + 48/49)
 

RANDBEMERKUNG

Leider gibt es in den chinesischen Quellen lediglich Andeutungen oder Um-
schreibungen in der Sprache der Partei-Ideologie. Nur in nordkoreanischen
Quellen gibt es eindeutige Hinweise auf linksorientierte Ausschreitungen in
den von den Japanern besetzten Gebieten. Dies liegt oft daran, dass die
Hauptaktivitäten der KP Chinas meist nicht im NO Chinas lagen. In diese
Gebiete flohen vorwiegend Koreaner, da sie in ihrer Heimat starker Unter-
drückung ausgesetzt waren. Das nur von sehr wenigen Staaten anerkannte
MANDSCHUKO wurde als eigenständiges Kaiserreich von den Mandschuren
verwaltet, unterlag aber einer direkten Kontrolle des japanischen Militärs. Des-
halb war das Leben für viele Koreaner hier angenehmer.

ANMERKUNGEN
[1] BEIJING RUNDSCHAU, Nr. 14 vom 11. April 1978, Seite 27.
[2] Bis zum Abschluss des deutsch-japanischen Antikominternpaktes zur
     Abwehr des Kommunismus im November 1936, der nun das Deutsche
     Reich außenpolitisch an Japan heranführte, war die deutsche Waffen-
     industrie mit ihrer Niederlassung in Spanien auch ein Lieferant für die
     Guomindang-Truppen mit Tschiang Kai-schek an der Spitze gewesen.
     Ebenfalls kam eine hochrangige deutsche Militärmission nach China,
     die aus den Generälen Georg Wetzell, Hans v. Seeckt, Alexander v.
     Falkenhausen u. a. bestand, um dort die verschiedenen Kommando-
     ebenen entsprechend zu beraten.
[3] DOKUMENTE DES IX. PARTEITAGS DER KOMMUNISTISCHEN
     PARTEI CHINAS, im Verlag für fremdsprachige Literatur, Beijing
     (China) 1969, Seite 178.     
[4] Stalin stellte einmal fest, dass die größten und auch bestbewaffneten
     Armeen zerfielen und zerstoben, wenn sie über kein festes Hinterland
     verfügten, wenn sie nicht die Unterstützung und die Sympathien des
     Hinterlandes, der werktätigen Bevölkerung besaßen (Werke, Band 11,
     Seite 22).